Minderheit – Gottes Grammatik neu lernen
Ein mitteldeutscher Reisebericht
von Thomas Pogoda
ursprünglich veröffentlicht in: Zulehner, Paul M.; Halík, Tomáš (Hgg.) Wir teilen diesen Traum: Theologinnen und Theologen aus aller Welt argumentieren „Pro Pope Francis“, Ostfildern 2019.Auf der Anreise nach Sachsen-Anhalt, dem deutschen Bundesland, in dem ich lebe, war im letzten Jahr zwangsläufig eine Hinweistafel zu passieren: „Willkommen in Sachsen-Anhalt, Ursprungsland der Reformation.“ Das Reformationsgedenken war in der Tat an vielen Orten in unserem Bundesland im vergangenen Jahr ein präsentes Thema, das viele Menschen berührte … und mindestens genauso viele, wahrscheinlich doch vielmehr, unberührt lies. In einer Stadt wie Wittenberg, in der der Reformator Luther lebte, ist heute nur gut jeder oder jede Zehnte christlicher Konfession. Sachsen-Anhalt ist ein Land, das mit seiner historischen Vergangenheit punkten will … und muss, da an vielen Orten der Tourismus ein so wichtiger, unverzichtbarer Wirtschaftszweig ist. Unternehmen wir doch eine Reise durch dieses Land – von dem ich für mich sage, dass es ein wunderbarer Ort zum Leben ist. Welche Zeichen zeigen sich?
Zeichen der Zeit
Ganz im Norden des Landes, dort, wo die Elbe sich plötzlich nach Westen wendet, liegt die Altmark. Genau in diesem Knie der Elbe liegt die Stadt Werben. Es ist ein Ort an dem man Ruhe, Frieden und Gelassenheit finden kann – eigentlich ein idealer Urlaubsort. Einst hatte Werben eine große Vergangenheit, bezeugt durch eine fast domartige Kirche, heute ein Städtchen, dessen Einwohner darum kämpfen, die Stadt nicht zu verlassen. Mit Einfallsreichtum retten Enthusiasten – andere würden sie die Unverbesserlichen nennen – das eine oder andere verlassene Haus vor dem Verfall, ohne dass in ihm jemand wohnen würde. Denn eine Ruine in einer Straße, so sagte es eine Bürgerin von Werben, sei doch wie eine Zahnreihe, in der ein Zahn fehlen würde: „Das ginge doch nicht!“ Die Stadt hat seit einiger Zeit keine Schule mehr – weil die Zahl der Kinder zu gering geworden ist. Ältere Menschen versuchen das Leben „in der Gemeinschaft“ zu gestalten – ersetzen den nicht mehr verkehrenden Linienbus durch einen Rufbus, den Freiwillige steuern. Sie erfinden ein Stadtfest, an dem sie sich gemeinsam mit vielen Gästen an die große Zeit des Biedermeier – die gute alte Zeit – erinnern. Ein Ort wie Werben steht für viele Orte in Sachsen-Anhalt oder anderswo in Mitteldeutschland: die Ortschaften überaltern – manchmal ist jeder Zweite älter als 58 Jahre –, junge Menschen ziehen weg und kommen selten wieder. Ganz offen wird (manchmal) im Land diskutiert, ob es in diesem für unsere Verhältnisse so dünn besiedelten Landstrichen, irgendwann Ortschaften gibt, in denen niemand mehr lebt. Die Zeichen stehen auf demografischem Wandel. Dennoch ist es hier ein Land von oft atemberaubender Schönheit. Und die Menschen, die leben, sind selten traurig, öfter gelassen.
Reisen wir weiter in die Landeshauptstadt, nach Magdeburg. Hier zeigt sich ein anderes Bild, welches erahnen lässt, wo die jungen Menschen aus den kleinen Städten und Dörfern geblieben sind. In dem Stadtteil, in dem wir leben, gibt es zahllose junge Familien. Heute sind Plätze in Kindertagesstätten rar, die Stadt erwägt den Neubau von Schulen, deren Plätze in den kommenden Jahren benötigt werden. Magdeburg ist eine Stadt, die durch eine Universität und eine Fachhochschule viele junge Menschen anzieht, manche von ihnen bleiben nach dem Studium in der Stadt und finden Arbeit. Als ich Magdeburg kennenlernte, trat ich aus dem Bahnhof und schaute auf einen weiten Platz, der durch einen verheerenden Bombenangriff in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges entstanden war. Die Innenstadt war in weiten Teilen zerstört. Neue, zweckbauliche Häuser, breite Straßen entstanden. Seit der politischen Wende entstanden viele neue, manche sogar sehr schöne neue Bauten.

Über der Stadt thront der achthundertjährige Dom, der für viele Magdeburger eine wichtige Landmarke ist. Gegenüber dem Dom liegt der Landtag des Landes, in dem die Alternative für Deutschland, die AfD, die zweitgrößte Fraktion stellt, nachdem die Partei bei der letzten Landtagswahl ein Viertel der Stimmen erhalten hat. Der Fraktionsvorsitzende dieser Partei wünschte kürzlich unter grölendem Gelächter der Zuhörer, dass die „Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“ sich doch bitte hinter den Bosporus zurückziehen sollten. Sein Kollege aus Thüringen, dem Nachbarland, hoffte die Größe Deutschlands zurück. Die Partei sieht sich als Sprachrohr der vielen Enttäuschten, wolle das Aussprechen, was sonst verschwiegen werde. Sie steht für einen Riss, der durch das Land und viele Gemeinschaften – wohl auch die christlichen Gemeinden – geht. Viele – und das war wohl auch ein Motiv für ihr Wahlverhalten – fühlen sich von „denen da oben“ nicht recht vertreten. Sie leben in prekären Verhältnissen und fühlen sich abgehängt. So steht ein Zeichen des Risses zwischen oben und unten, zwischen wohlhabend und arm, für manche zwischen Herkunft aus dem Westen und aus dem Osten.
Dann steht die Frage, was der Kitt ist, der diese Risse zusammenhalten, vielleicht sogar verschließen könnte. Eine Ahnung, dass der Riss vielleicht doch verschließbar sein könnte, durften wir erleben, als die Elbe Hochwasser führte. Das sind Situationen, in denen die Menschen ohne zu zögern anpacken und einander Hilfe leisten. Plötzlich waren oben oder unten, wohlhabend oder arm, Ost oder West keine Kategorien mehr. In den Menschen blitzte so etwas wie Hingabe füreinander und tragender Gemeinschaftssinn auf. Sie sind in den Menschen offenbar persistierend angelegt.
Aber wenn wir weiter durch das Land reisen, führt der Weg in das Mansfelder Land, eine alte Bergbau- und Industrieregion, die diese Zeit hinter sich hat. Auch hier sieht man Ortschaften, aus denen nicht wenige Menschen weggehen. Das verwundert auch nicht, ist doch fast jeder vierte Arbeitsfähige im Hauptort des Mansfelder Landes, der Lutherstadt Eisleben, ohne Arbeit, mancher bereits über viele Jahre. Hier stehen die Zeichen auf einen kranken, Pessimisten werden vielleicht sagen, sterbenden Landstrich. Dabei liegt das Mansfelder Land direkt neben dem Harz, der so anziehenden Urlaubsregion. Diese Melange macht das Land wohl an vielen Stellen aus. Neben Zielen, die von jeher besucht und erkundet werden, mühen sich Orte, denen der Gewinn an Interesse wegen der strukturschwachen Region so von Bedeutung ist, um neue Anziehungskraft.
Südlich des Mansfelder Landes liegt an der Unstrut der kleine Ort Memleben. Hier lag im Mittelalter ein bedeutendes Benediktinerkloster, von dem heute noch beeindruckende Reste erhalten sind. Vor einigen Jahren standen die mehrheitlich konfessionslosen Verantwortlichen im Dorf vor der Frage, das ehemalige Kloster anziehend zu machen und mit neuem Leben zu erwecken. Sie sanierten die Gebäude und richteten ein Museum über das Leben und Wirken der Benediktiner ein. Und: Sie luden Mönche aus der Abtei Münsterschwarzach ein, im Kloster Memleben zu beten, zu arbeiten, zu lesen. Die Brüder kamen, kommen immer wieder und erfüllen das Kloster auf Zeit mit Leben. Säkulare Menschen und eine Gemeinschaft von Mönchen: die Zeichen stehen auf ungewöhnlichen Allianzen.
Diese Allianzen sind auf den ersten Blick recht ungewöhnlich in einem Land, in dem vier von fünf Menschen konfessionslos sind. Manche mag das schmerzen, manchen zu Ironie verführen: der Altbischof der evangelischen Landeskirche bezeichnete seine Kirche in der Minderheit einmal als steinreich. In der Tat sind wie der Dom für die Magdeburger praktisch in jeder Stadt, in jedem Dorf die Kirchtürme dann doch, sogar für einen konfessionslos eingestellten Menschen, Identität stiftende Bezugspunkte. Dies wird ja gerade dann deutlich, wenn die konfessionell eingestellten Menschen aus mangelnder Kraft mit der Kirche aus dem Dorf ziehen wollen. Dann kommt es zu diesen ungewöhnlichen Allianzen von Konfessionslosen und (vielleicht auch) Konfessionellen, die die Kirche eben in der Mitte des Dorfes erhalten wollen. Ein Zeichen steht auf einer Mehrheit der Konfessionslosen, unter denen Gott sprechen will und spricht.
Was bedeuten diese Zeichen und Eindrücke, die bei solch einer Reise gewonnen werden?
Auf den ersten, vordergründigen, wohl zu kurz gegriffenen Blick, könnte ein Beobachter – und da ist unerheblich, ob er den Landstrich und seine Menschen von innen oder von außen her betrachtet – meinen, für Gott sei die Zeit in diesem Land vorbei. Mancher meint sogar, Gott habe dieses Land verlassen.
Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn wir unsere ererbten Formen des Christseins zum Maßstab unserer Einschätzung machen. Dieser Maßstab ist auch nichts ungewöhnliches, engagierten und engagieren sich doch viele Menschen für ein christliches Leben in einer Kirchengemeinde. Das verwundert nicht, bot doch die christliche Gemeinde vielen Menschen, die unter den Bedingungen einer Diktatur leben mussten, einen Rückzugsort und sicheren Hafen des freien Denkens. Der Preis dafür waren unter Umständen Bollwerke, die den Kreis gegenüber anderen abschirmten. Sei es dadurch, dass als gefährlich erachtete Menschen außen vorgelassen wurden. Sei es dadurch, dass man lernte, das Gedankengut der anderen auch intellektuell abzuwehren. Eine gefühlte Dualität von denen da drinnen (den Guten?) und denen da draußen (der Gefahr?) gab auch Zusammenhalt unter den Geschwistern. Und dieser Zusammenhalt bot Schutz.
Die Folge der Schutzschirme war auch, dass nur wenige lernten, eine glaubende Sprache unter und mit Menschen zu sprechen, die sich als erklärte Atheisten, als Agnostiker oder als stille Konfessionslose verstanden. In den Jahren nach der politischen Wende – die heute mehr als eine Generation zurückliegt – konnte die Institution Kirche sich neuer Freiheit(en) erfreuen. Und wirklich prägten die Kirchen in den ersten Jahren die Gesellschaft auf eine ganz neue, eigene Weise (so hat etwa Sachsen-Anhalt irritierenderweise mit seinen gut 3 Prozent katholischer Christen, den Festtag Erscheinung des Herrn als staatlichen Feiertag). Doch die Institution Kirche findet sich heute in einer Mehrheitsgesellschaft wieder, für die es normal ist, dass ein Mensch konfessionslos ist – wenn diese Frage überhaupt eine Bedeutung hat. Für die Gemeinden – die Zusammenschlüsse der Konfessionellen – bleibt die Herausforderung dieser (fremden?) Gesellschaft, da die Lebensrhythmen der Menschen dann doch an so anderen Orten verlaufen.

Da ist es dann doch ein Glücksfall, dass die Institution Kirche in den Jahren nach der politischen Wende Einrichtungen – etwa Schulen, Sozialstationen, Altenpflegeheime, Kindergärten – neu eröffnen und aufbauen konnte. Denn hier berühren sich die Lebenswirklichkeiten, zum Glück ist die diakonia ein Grundvollzug dessen was Christsein und Kirchesein ausmachen, etwas was das Mysterium Jesu Christi ausmacht. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben sehr deutlich dazu geführt, dass gerade katholische Christen im Osten Deutschlands neben der (kirchlichen) Ausdrucksform Gemeinde, die sie durch die Zeiten der Diktatur getragen hat, noch die Ergänzung durch andere Ausdrucksformen gefunden haben. Herausfordernd ist ohne Frage, diese Ausdrucksformen neben der bekannten, gewohnten Ausdrucksform Gemeinde als gleichbedeutend und gleichwertig anzuerkennen. Aber vielleicht drücken diese Ausdrucksformen das, was christlich ist, nur unter anderen Rahmenbedingen und anderen Akzenten aus. Wichtig erscheint doch, ob die zuwendende und verwandelnde Kraft Gottes den Menschen entgegentritt. Geschieht dies, erweist sich eine Ausdrucksform von Kirche als sakramental. Vielleicht ist dies auch ein tieferer Sinn dessen, warum am Gründonnerstagabend die Feier der Eucharistie in den Gestalten von Brot und Wein, Leib und Blut, ihre so eindringliche Ergänzung und Deutung im Waschen der Füße findet. Gerade in diesen Ausdrucksformen, diesen Einrichtungen – die sich der diakonia in so vielen Spielarten verschrieben haben – scheinen Reaktionen auf die Zeichen der Zeit auf, die sich auf einer Reise durch unseren Landstrich auftun: in diakonischen Einrichtungen und in Einrichtungen zur Bildung junger Menschen.
Und auf eine noch spannendere Ebene führt uns der Umstand, dass sich Kirche derart vollzieht, dass eben die Menschen guten Willens mitwirken. Menschen ohne Konfession geben einem Grundvollzug von Kirche ein Gesicht – ob dies von den Handelnden so gesehen oder überhaupt von Belang wäre, wird sich wohl nur im genauen Hinschauen erschließen. Plötzlich zeigt sich, dass sich die liebende Zuwendung Gottes in der pflegenden Hand eines (konfessionslosen) Altenpflegers oder einer (konfessionslosen) Erzieherin inkarniert. Vermutlich kommt es bei dieser Zuwendung nicht auf das „richtige Etikett“ (katholisch) an, sondern erst einmal nur, dass sich diese Zuwendung real vollzieht. Damit lässt sich der erstaunliche Hinweis erahnen, wie Gottes Handeln offenbar den Bereich des konfessionellen Zusammenschlusses einer Gemeinde entgrenzt und sich seinen eigenen Aktionsraum erschließt.
In diesem Zusammenhang möchte ich nicht falsch verstanden werden. Dies ist keine Rede gegen den Zusammenschluss, den die Christinnen und Christen in den vergangenen Jahrzehnten gelebt, geliebt und mit einer Vielfalt des Lebens gefüllt haben. Dieses christliche Leben war für Viele eine wichtige Stütze und ein Segen. Aber ich möchte dies als den deutlichen Appell verstanden wissen, mit einer Wirksamkeit Gottes zu rechnen, die sich außerhalb der bisher gewohnten Orte des Christlichen vollziehen. Und eine Reflexion über eine Bedeutung eines christlichen Lebens in unserem Landstrich, das die Minderheitensitutation annimmt, lässt mehr und mehr erahnen, wie Gott uns herausfordern will. Er fordert uns in unserer Situation auf, sein Handeln in den Geschichten und Leben der Menschen der Mehrheit, in ihren Fragen und ihren Nöten, in ihren Antworten und ihrem Glück wahrzunehmen. Wir sollten damit rechnen, dass der Herr im Leben und Handeln der konfessionslosen Menschen zu uns sprechen, uns darin ein Evangelium entgegentreten will. Diese Sprache und dieses Entgegentreten gilt es zu identifizieren. Dies wird nicht ohne eine kritische Unterscheidung gelingen, die aber bitte eine wohlwollende Unterscheidung sein sollte – wohlwollend, weil es ungleich einfacher ist, etwas zu übersehen, als es zu entdecken. Schließlich steht dann noch die wohl herausforderndste Aufgabe: Schlussfolgerungen zu ziehen, diese Schlussfolgerungen zu einem Umdenken werden zu lassen und das eigene Handeln auf die in konkrete Umwelt einzustellen. Mir scheint, dass dies vielleicht eine Kernbedeutung unseres Lebens einer Minderheit als Christinnen und Christen in diesem Land sein könnte: Sich neu, wie Petrus in der Apostelgeschichte (vgl. Apg 10, 9-23a), von Gott davon überzeugen zu lassen, was in dieser Welt rein und von Gott gewollt ist.
Was braucht nun eine Kirche, die als Minderheit lebt?
Sie braucht die Sensibilität, täglich neu des Handelns Gottes bewusst zu werden und es zu erfahren. Christinnen und Christen, Seelsorgerinnen und Theologen werden auf je eigene Art lernen müssen, Gottes Sprechen in der Sprache und im Leben der Menschen, mit denen sie ihr Land teilen, zu verstehen. Vielleicht hemmt uns dabei nicht zu sehr, dass wir das Handeln nicht sehen würden, mehr jedoch, dass wir darin nicht Gottes Wirken kennen können (oder wollen?). Solch eine Sensibilität kann sich dort einstellen, wo die Jüngerinnen und Jünger Jesu sich zu Füßen der geringsten Brüder und Schwestern setzen und hören. Immer und immer wieder hören, das Gehörte miteinander teilen und auf einem gemeinsamen Weg miteinander deuten. Dies dürfte den Charakter unserer Versammlungen und Zirkel verändern – wenn diese Zeiten der Gemeinschaft zu Orten werden, an denen immer wieder neu über das Handeln Gottes in unserer Zeit, im Hier und Jetzt gesprochen und gebetet wird. Vermutlich wird die Gabe der Prophetie in der Gemeinde an Bedeutung gewinnen.

Die Kirche braucht dann den Gehorsam, den Hinweisen, die Gottes Handeln anbietet und die als solche erkannt wurden, zu folgen. Es ist die Aufforderung, den Regungen des Geistes zu trauen und dann auch im eigenen Leben und Handeln als Christinnen und Christen – sei es als Einzelne, sei es in Gemeinschaft – mit Konsequenzen zu folgen. Das beinhaltet zwangsläufig, dass die Veränderung unserer Gewohnheiten und Stile dazugehört.
Und die Kirche braucht die Flexibilität, die Erfahrungen der Vergangenheit – jenem traditionsreichen Erbe früherer Generationen bis hin zum Anfang – mit den Fragen und Antworten der Gegenwart im Blick auf die nächste Zukunft hin in Einklang zu bringen. Dabei brauchen wir uns nicht von der Furcht verunsichern zu lassen, etwas von diesem Erbe zu verraten. Mit Gottvertrauen geht es einfach weiter, ohne Angst zu fehlen – weil eine Freiheit von Fehlern in unserer Suche nach Gott gar nicht möglich ist. Gleichwohl werden die Erfahrungen der Vergangenheit Orientierung geben, sich auf dem Weg Gott entgegen zurechtzufinden.
Nun lebe und arbeite ich in einer Kirche, die hier in Mitteldeutschland in der Minderheit ist – das ängstigt mich nicht, die Kleinheit und das Kleiner-Werden betrüben mich nicht. Ich träume von einer Kirche, die ihr Ohr, ihre Aufmerksamkeit am Leben der Menschen im Land hat und darin die Wehen des Geistes spürt. Diese Kirche versucht es immer neu, Antworten auf jene Fragen und Nöte zu geben, die sich im Leben der Mitmenschen stellen. Sie ist bereit, ihre knappen Ressourcen zugunsten der konfessionslosen Mitmenschen einzusetzen, und sich, vor die Wahl zwischen einem neuen Kindergarten und einem neuen Gemeindehaus gestellt, lieber für den Kindergarten oder auch die Schule, das Pflegeheim, die Wärmestube entscheidet. Die sich dafür entscheidet, weil sie hier die Menschen findet, denen ihre Sendung gilt.
Sakramentale Präsenz
Und ich träume von einer Kirche, die bei allem Bewusstsein ihrer sakramentalen Struktur auf die Sakramentalität der einzelnen Jüngerin baut und die dem Wachstum und der Schönheit dieser Sakramentalität des Jüngers dient. Nun mag der eine oder die andere bei dem Blick in unser Land den Eindruck formulieren, hier sei das Glauben bald ausgestorben. Mag dies auch der erste, flüchtige Eindruck sein, doch kann ich diese Einschätzung nicht teilen! Gott ist ganz vital am Wirken. Auf den zweiten Eindruck scheint mir jedoch, dass wir gerade dabei sind, die göttliche Grammatik neu zu erlernen.